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Assyrischen Relief mit Fellboot-Darstellung, aus dem
Palast des Sennacherib in Ninive, 7. Jh. v. Chr. (Bild: S. McGrail, Boats of the World, From the Stone Age to Medieval Times (Oxford 2009), 67,
Abb. 3.15) |
Gemäß dieser Aufzählung stehen die Chancen gut, dass
Fellboote auch den Bergleuten aus Hallstatt nicht unbekannt waren. Zudem sind sie
außerordentlich einfach zu bauen (im Falle der von uns gewählten Variante im
Stil der walisischen Coracles genügt eine große Rohhaut und ein Geflecht aus
Weiden- oder Haselruten) aber dennoch sehr leistungsfähig und vor allem leicht.
So können z.B. tibetische Yakhaut-Boote zu Wasser 5 Personen transportieren,
aber an Land von einem einzigen Mann getragen werden (McGrail 1998, 185) – was das Überqueren von Landpassagen oder den
Rücktransport der Boote stromaufwärts erheblich erleichtert. 2019 wurde von einem
Team des Naturhistorischen Museums Wien, unter der Leitung von Hans
Reschreiter, schon einmal ein solches Fellboot gebaut und zu Wasser gelassen.
Es schwamm ausgezeichnet und trug dabei ein stolzes Gewicht von ca. 150
Kilogramm (zwei erwachsene Personen). Dieses Jahr galt es, die Versuchsreihe fortzusetzen und ein Fellboot mit einer
noch höheren Tragfähigkeit zu bauen! Wir - vier Studentinnen
der Universität Wien, namentlich Lisa Holler, Margareta Elisabeth Skudelny, Seher Nur Turgut und Cara Jäger - haben
uns für dieses Experiment, wieder unter der Leitung von Hans Reschreiter,
zunächst in die Steiermark begeben. Auch vor Ort war stets ein Filmteam des
Senders Servus TV, welches unser Projekt vom Bau des Bootes bis zu dessen
Testfahrten im Hallstätter See begleitete.
Der Bootsbau
Am
29.04.2021 trafen wir uns in Reigersberg mit den Korbnäher*innen Harrit Karner
und Erwin Jaworsky, um zusammen das Grundgerüst des Bootes herzustellen. Für
dessen Abmessung haben wir einen Pflock in den Boden geschlagen, daran ein Seil
befestigt und am Seil auf 72,5 cm Länge eine Markierung gesetzt. Dies sollte
der Radius unseres Bootes werden. An der Markierung des straff gehaltenen Seils
wurden jeweils im Abstand von 17,5 cm (abgemessen mithilfe eines Stöckchens in
dieser Länge) 26 kurze Weidenruten in den Boden gesteckt. Et voilà! Man
erkannte auf dem Rasen schon die späteren Ausmaße unseres Fellbootes. Der
Ablauf des Bootflechtens wurde an die filmische Dokumentation eines Currachbaus
von 1935 (https://youtu.be/aCWFDMnKLyM) angelehnt. Anschließend haben wir bereits im
Winter geschnittene, kräftigere Weidenruten zurechtgestutzt und abgelängt. Diese sogenannten Staken wurden am dicken Ende mit der Axt angespitzt und an den markierten
Stellen in den Boden getrieben.
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Abmessen des Grundgerüsts. (Fotografin:
S. Nur Turgut) |
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Einschlagen der Staken. (Fotografin:
S. Nur Turgut) |
Nun
konnte mit dem Flechten des Korbrandes begonnen werden, der das entstehende
Bootsgerüst stabilisieren soll. Hierzu entasteten wir weitere, etwas dünnere
Weidenruten und begannen unter Anleitung der Korbnäher*innen mit je vier Ruten
zu flechten, wobei pro Durchgang jede Rute über zwei Staken und unter zwei
Staken hindurch gewunden werden musste. Sobald eine Weidenrute vollends
eingeflochten war, „verlängerten“ wir sie mit einer weiteren Route. Dabei galt
es zu beachten, dass man an ein auslaufendes, dünnes Rutenende nur das dünne
Ende einer weiteren Rute anzulegen hatte, während ein auslaufendes, dickes Ende
auch wieder mit dem dicken Ende einer neuen Rute verlängert werden sollte. Als
der geflochtene Rand unseres werdenden Bootsgerüstes etwa auf Unterarmlänge
angewachsen war, konnten die Staken ihrerseits umgebogen und an den
Schnittstellen mit Streifen aus Rohhaut fixiert werden. Diese Hautriemen hatten
wir parallel zum Flechtvorgang hergestellt, indem wir eine Rinderhaut abputzten
und in dünne Streifen schnitten.
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Unser Korbrand wuchs an, während im Hintergrund schon mit den nächsten Arbeitsschritten begonnen wurde. (Fotograf: H. Reschreiter) |
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Herstellung von Riemen aus einem Stück Rinderhaut. (Fotografin: S. Nur
Turgut) |
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Einsatz der Riemen zum Verknoten sich kreuzender Staken. (Fotografin: S. Nur
Turgut) |
Während
das Gerüst aus Weidenruten entstand, bereiteten wir auch schon unser großes
Kuhfell vor, das später über Ersteres gestülpt werden sollte. Das Kuhfell musste
wie schon die Haut für die Riemen „geputzt“ werden, das heißt wir bereinigten es mit
Messern von allen Fett- und Fleischresten auf der Innenseite. Das Putzen der Kuhhaut dauerte über vier Stunden, in denen durchgängig eine bis fünf Personen gleichzeitig am Werk
waren. Als wir diese Arbeit beinahe vollendet hatten, konnten wir die Kuhhaut
dem inzwischen fertig gewordenen Korbgerüst schon einmal „anprobieren“. Dabei
wurde die Haut auf dessen Maße zurechtgeschnitten.
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Reinigen des Kuhfells (Fotografin: C. Jäger) |
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Unser fertiges Korbgerüst (Fotografin: C.
Jäger)
Unsere „rosa Schildkröte“ bei der Kleideranprobe… (Fotografin: S. Nur Turgut)
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Am
Ende des Tages zogen wir das Bootsgerüst aus der Erde und kappten die Spitzen
der Staken. Insgesamt hatte die Konstruktion des Korbes sechs Stunden in Anspruch
genommen – allerdings waren hier auch immer nur etwa zwei Personen gleichzeitig
am Werk, statt bis zu fünf, wie bei der sehr viel kräftezehrenderen Kuhhaut.
Später
wurde die Form des Weidengeflechts von Hans Reschreiter noch leicht modifiziert.
Mithilfe von Balken und Spanngurten senkte er den Korbrand ab und erzielte
einen flacheren Boden sowie eine steilere Bordwand. Dadurch liegt das Boot
besser im Wasser und hat zudem einen geringeren Tiefgang. Traditionelle
walisische Bootsflechter*innen erreichen diesen flachen Boden schon während des
Herstellungsprozesses, indem sie die Staken mit schweren Steinen niederdrücken (https://youtu.be/ aCWFDMnKLyM) und sie in diesem Zustand durch weiteres
Geflecht fixieren oder aber erst den flachen Boden flechten und dann erst die
Staken für die Bordwand nach oben umbiegen (Seymour 2000, 113).
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Letzte Nachbesserung in Hallstatt. (Fotograf: H. Reschreiter) |
Um
unsere außen noch flauschige, braune Rohhaut vom Fell zu befreien, wurde sie anschließend
eine Woche lang in Kalkwasser eingelegt. Danach konnten die Haare von Hans
Reschreiter und Daniel Brandner mit Bronzemessern leicht entfernt werden.
Im enthaarten Zustand wurde die
Haut wieder über das Korbgerüst gestülpt, um darauf zu trocknen. Bei diesem
Vorgang nimmt die Haut die Form des Bootsgerüstes an und wird relativ steif.
Etwa drei Wochen nach unserem gemeinsamen Arbeitstag in der Steiermark konnte die Rohhaut
– wieder mittels Rohhautstreifen – am Korbgerüst festgenäht werden. Dabei
wurden auch drei kleine Löcher in der Haut, die seit dem Schlachtvorgang darin
waren, zugenäht und unmittelbar vor der ersten Bootsfahrt mit Butter
abgedichtet.
Im vollendeten Zustand hat unser Boot nun einen
Durchmesser von ca. 145 cm und ein Gewicht von rund 25 kg.
Probefahrt am
Hallstätter See
Am 26.05.2021 haben wir uns wieder getroffen –
diesmal am Hallstätter See, direkt unterhalb des prähistorischen Bergwerkes. Dort
haben wir zunächst im kleineren Fellboot von
2019 Paddeltechniken geübt, die sich für Rundboote eignen. Sitzt nur
eine Person im Boot erweist sich eine Achterschleifenbewegung des Paddels, mit
dem man das Wasser unter dem Boot hindurch drückt und sich dadurch geradlinig vorwärts
bewegt, als besonders effektiv. Bei einem zweiköpfigen Team kommt man auch mit
zwei synchron bewegten Paddeln auf beiden Seiten des Bootes sehr flott voran. Trocknen und
nächtigen durften wir dann in der "Alten Schmiede" – einer Außenstelle des NHM
Wien, unmittelbar unter den Stollen des prähistorischen Bergbaus.
Am
27.05.2021 war es endlich soweit! Unser eigenes Boot konnte das erste Mal zu
Wasser gelassen werden. Auch hier stand wieder das Kamerateam parat, um den
zweiten Teil unseres Experimentes zu dokumentieren.
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Zuwasserlassen des Fellbootes. (Fotografin:
U. Pfeiler) |
Wie erwartet (bzw. inbrünstig gehofft!) schwamm das Boot hervorragend und trug erstaunliche Lasten! Auf mehreren kleinen Fahrten variierten wir das Gewicht der Ladung. Zunächst fuhren nur zwei Personen (Hans Reschreiter und eine von uns Studentinnen) hinaus – und beobachteten wachsam, ob unsere mit Butter verschmierten Lecks auch dicht hielten. Im Folgenden beluden wir unser Fellboot mit Salzblöcken mit einem Gesamtgewicht von 100 kg und stiegen zu viert in das Boot, womit Letzteres über 350 kg trug!
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Unser fertiges Fellboot kann auf dem Hallstätter See zum Ersten Mal seine Schwimmtüchtigkeit beweisen. (Fotograf: H. Reschreiter) |
Theoretisch
hätten wir das Boot noch etwas schwerer beladen können, doch es lag bereits
tief im Wasser und wäre mit noch mehr Gewicht anfällig für kleine Wellen
gewesen, die leicht über die niedrige Bordwand hätten spritzen können. Ein
Transport über die Traun wäre in diesem Zustand riskant.
Mit
geringfügig verminderter Ladung sollte unser Boot aber wildwassertauglich sein –
schließlich sind Fellboote aufgrund ihres geringen Tiefgangs von nur ca. 30 cm optimal
zum Befahren flacher Gewässer, gleiten dank ihres federleichten, elastischen
Baus aber auch auf sehr hohen Wellen (McGrail 2009, 183). Tatsächlich waren und sind sie sogar hochseetauglich, wie u.a. die Navigatio
Sancti Brendani nahelegt, die uns vom irischen Mönch Brendan berichtet, der
in einem Currach im 6. Jh. n. Chr. den Atlantik überquerte. Die Erzählung wurde
lange als reine Fantasie abgetan, bis der britische Historiker Timothy Severin
im Jahre 1976 experimentell bewies, dass es möglich war, in einem Currach von
Irland nach Neufundland zu reisen – indem er genau dies tat (Capelle 1987, 132).
Wir
sind darum optimistisch, dass unser Fellboot auch die Traun meistern wird –
dies wäre selbstredend die nächste, noch ausstehende Etappe unseres
Experimentes zum bronze- und hallstattzeitlichen Salztransport zu Wasser. Schritt
für Schritt versuchen wir so die Lücken zu füllen, die
Funde und Schriftquellen noch offenlassen.
Erkenntnisse
Ein Fellboot kann innerhalb von acht
Stunden gebaut werden, wenn vier bis fünf Personen zusammenarbeiten – die Trocknung
der Haut nimmt allerdings zusätzliche drei oder vier Wochen in Anspruch. Bei einer
ungefähren Größe von 145 cm (d) x 47 cm (h) erreicht es eine Traglast von über
350 kg. Das Rundboot kann leicht von einer Person gepaddelt werden und lässt
sich über Land gut tragen. Alle experimentell geprüften Aspekte sprechen für
eine hervorragende Eignung zum Salztransport, womit wir die Möglichkeit, dass
Letzterer mittels derartiger Boote stattfand, in Betracht ziehen können. Von den Coracles ist außerdem
bekannt, dass das Gerüst aus Weide etwa vier bis fünf Jahre hält. Die Kuhhaut überdauert
sogar Jahrzehnte, wenn sie nach der Nutzung wieder getrocknet wird.
Der Film zu unserem Projekt wird am
18.8. um 21.15 auf Servus TV in PM Wissen in Deutschland ausgestrahlt und am
19.8. um 20.15 in Österreich. Wir freuen uns schon auf die bewegten Bilder zu
unserem Boot und bedanken uns bei Tim Rascher und seinem Team von Bilderfest
für die tolle Zusammenarbeit.
Wer sich jetzt von Fellbooten begeistern hat lassen kann sich auch auf den nächsten Blog zum Thema freuen, der sich mit leichten Booten aus aller Welt beschäftigen wird.
Verfasserinnen: Lisa Holler,
Margareta Elisabeth Skudelny, Seher Nur Turgut, Cara Jäger
Projektteam: Erwin Jaworsky, Harrit Karner, Lisa Holler, Margareta Elisabeth Skudelny, Seher Nur Turgut,
Cara Jäger, Daniel Brandner, Hans Reschreiter
Literatur
J. Armbruster, Ahoi! Der Stapellauf am Hallstätter See
(2019), http://hallstatt-forschung.blogspot.com/2019/09/ahoi-der-stapellauf-am-hallstatter-see.html (aufgerufen
am 05.07.2021)
T. Capelle, Die Eroberung des Nordatlantiks, Archäologie
am Rande des Meeres (Neumünster 1987)
D. Ellmers, Ein Fellbootfragment der Ahrensburger Kultur
aus Husum, Schleswig-Holstein?, Offa 37 (Neumünster 1980)
O. Höckmann, Antike Seefahrt (München 1985)
S. McGrail, Ancient Boats in North-West Europe, The
Archaeology of Water Transport to AD 1500 (London 1998)
S. McGrail, Boats of the World, From the Stone Age to
Medieval Times (Oxford 2009)
K. Kowarik,
Hallstätter Beziehungsgeschichten, Wirtschaftsstrukturen und Umfeldbeziehungen
der bronze- und ältereisenzeitlichen Salzbergbaue von Hallstatt/OÖ. (Mit
Beiträgen von Michael Grabner, Julia Klammer, Konrad Mayer, Hans Reschreiter,
Elisabeth Wächter und Georg Winner), Studien zur Kulturgeschichte von
Oberösterreich 50 (2019)
Naturhistorisches Museum Wien, UNESCO Österreichischer Welterbetag Hallstatt 2021 (2021), https://youtu.be/Z1-AVV6XGxE (aufgerufen am 04.07.2021)
J. Reitinger, Das goldene Miniaturschiffchen vom
Dürrnberg bei Hallein, Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde
115 (Linz 1975)
H. Reschreiter, K. Kowarik, Bronze Age mining in Hallstatt, A new picture of
everyday life in the salt mines and beyond, Archaeologia Austriaca 103, 99–136 (2019), DOI: 10.1553/archaeologia103s99
J. Seymour, Vergessene Künste, Bilder vom alten Handwerk (Rheda-Wiedenbrück
2000)
Th. Stöllner, Salz als Fernhandelsgut in Mitteleuropa
während der Hallstatt- und Latènezeit, in: A. Lang, V. Salač (Hrsg.),
Fernkontakte in der Eisenzeit, Konferenz Liblice 2000 (Prag 2002)
Weiterführende Links
Maritimes Lexikon, Fellboot (2011), https://www.modellskipper.de/Maritimes/maritime_Begriffe_Deutsch_Abschnitt_F/Fellboot
Videos zu Fellbooten
I.
Finkel, The Ark Before Noah: A Great Adventure (2016), https://youtu.be/s_fkpZSnz2I
Look
Around Ireland, Boyne Currach (2008), https://youtu.be/aCWFDMnKLyM
OtherLives, Hands Curragh Makers Part 1 (2008), https://youtu.be/ZLKQgTCVinE
B. Rioux, How to build a spruce bark canoe! (2014), https://youtu.be/u6V-v7mVymo
Archanth,
Making Coracle (2011), https://youtu.be/FcAzWOBAfo8
W.
Lord, Making a Skin Coracle from start to finish (2018), https://youtu.be/TiBUCPHjU_8
Alaska Extreme, Tuktu- 2-
The Big Kayak (how to build a kayak out of driftwood), https://youtu.be/tKbwNdes0SY
INBAROfficial,
Process of Bamboo Coracle Making – training video (2019) https://youtu.be/X7sguD1pO84